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Wilma Ruth Albrecht Bildungsgeschichte/n Texte aus drei Jahrzehnten ISBN: 978-3-8322-4897-0 Price: 35,80 € / 71,60 SFR |
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Der Band enthält Materialien, die Wilma Albrecht als Lehrerin in Jahrzehnten ihres Dienstes als Arbeitsgrundlagen niedergeschrieben hat. Es beginnt mit einem Unterrichtsentwurf zu Fontanes "Effi Briest", einer Pflichtlektüre jeder gymnasialen Oberstufe. Es folgt eine ausführliche Studie zum Thema Kriminalroman, was dann überleitet zu dem exemplarischen antifaschistischen Roman Stefan Heyms "Der Fall Glasenapp". Einem großen Teil der Dramen Schillers ist die nächste Studie gewidmet. Es folgen Darstellungen demokratischer Volkstradi-tionen im südwestdeutschen Raum, bevor die deutsche Amtssprache und generell Beispiele der Sprachverhunzung unter die Lupe genommen werden. Die Effi-Briest-Studie zeigt, wie (erfolgreich) versucht wurde, die Schülerinnen und Schüler für die Pflichtlektüre zu begeistern. Die gewöhnliche Abhandlung des Stoffes wird zum Ausgangspunkt, um dann das Interesse an den Personen zu wecken, deren Schicksal Inhalt des Romans ist oder die ihn begleitend, auch analysierend mit ihm zu tun hatten. Die Schüler werden mit dem Vorschlag konfrontiert, zum Werk eine Ausstellung zu erarbeiten, die dann auch in den Räumen einer Sparkasse der Öffentlichkeit vorgeführt werden konnte. Die Schülerinnen und Schüler waren mit großem Elfer und eigener Aktivität "mit von der Partie". Eigentlich hätte mein marxistisches Grundwissen ausreichen müssen mir zu sagen, dass sich hinter und in dem Kriminalroman wesentlich Gesellschaftliches verbirgt bzw. ausdrückt, nur habe ich mir darüber bisher keine Gedanken gemacht, was jetzt, nach dieser Studie Wilma Al-brechts anders geworden ist. Warum konnte der Kriminalroman, wie wir ihn heute kennen, erst in der bürgerlichen Gesellschaft entstehen. An-dere Krimmalgeschichten gab es schon vorher, aber erst mit dem naturrechtlichen Rechtsgedanken, mit seiner Grundlage, dass ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Handlung im Widerspruch zu einer gesellschaftlich normierten Regel steht, dies durch materielle Beweismittel und/oder Zeugen zu ermitteln ist, können Spurensuche und Rechtsprechung in der modernen Form auftreten, sich von früheren Formen unterscheiden, wo es derlei objektive Grundlagen nicht gab, sondern Folter, Verdächtigungen, üble Nachrede und ähnliche "Menschlichkeiten" "Rechtsgrundlagen" waren. Erst jetzt kann der Detektiv "erfunden" werden und kann er als "Held" gegen die schlampig, nachlässig oder sonst wie erfolglose offizielle Ermittlungsbehörde eine Rolle spielen. Albrecht geht den Varianten solcher "Krimis" und ihrer Deformierung unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen nach, bevor sie auf didaktische Probleme des Umgangs mit dieser Literaturform zu sprechen kommt (es werden bestimmte Werke studiert) und endet diesen (umfangreichen) Text mit einer interessanten Übung: Die Schülerinnen und Schüler sollten selbst einen Kriminalroman schreiben. Dies sei der erfolgreichste Teil der Unterrichtseinheit gewesen. Heyms "Der Fall Glasenapp" wurde 1994 in der Schule behandelt, auch hier legt Albrecht eine bis ins Einzelne gehende Arbeitsgrundlage vor. In jeder Hinsicht, nicht nur in jener des Deutschunterrichts, ist die umfangreiche Analyse von zehn Dramen Schillers bedeutsam. Manchen Schülern muss erst vermittelt werden: Es geht nicht um Geschichte, sondern um Dichtung. Es geht nicht um das wirkliche Ereignis der Ermordung Wallensteins oder den Tell, Schiller schrieb in und über wirre Zeiten des Umsturzes, der Verschwörungen, der Unterdrückung und des Aufstands für die Freiheit der wankenden Throne und des Griffs nach der Macht auf verschiedenen europäischen Schauplätzen (nicht auf deutschen!). Er will zeigen, wie menschliche Urregungen wie Liebe und Hass, Hochmut und Herrschsucht dazu führen, dass sich Ideale in ihr Gegenteil verkehren können. Wie es der Kunst, der Erziehung mittels der Kunst, der Ästhetik erst möglich wird, dass sich der Mensch läutere und erst dadurch tatkräftig die Wirklichkeit zu gestalten vermag. Das mittels der Werkanalyse den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln war die Aufgabe, der sich die Lehrerin Wilma Albrecht stellt. Auf die beiden letzten Texte, die Sprachverhunzung betreffend, gehe ich nicht weiter ein. Wichtiger sind die Arbeiten über demokratische Volkstraditionen im südwestdeutschen Raum. Das reicht vom Bauernkrieg bis zur Reichsverfassungskampagne 1849. Dies mit konkretem ge-schichtlichen Material unterlegt den Schülern zu vermitteln in einer Zeit, in welcher diese demokratischen Traditionen hinter der "Feier" von Männern und Frauen des 20. Juli zurückgestellt werden, ist erzieherisch von besonderem Wert. Lesenswerte Studien, gute Hilfsangebote bzw. Beispiele für die Gestaltung des Deutsch-Unterrichts, aber auch „nützlich" ohne solche Gebrauchswertorientierung. | |
Source: Robert Steigerwald in: Marxistische Blätter, Heft 4/07 | |
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