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Jonas Pfohl, Steffen Rother, Sabine Töfferl (Hrsg.) copy&paste – meins, deins, unsers im gespräch Symposiumsband zum 23. internationalen studentischen Symposium des DVSM e.V. von 9. bis 12. Oktober 2009 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien ISBN: 978-3-8440-0048-1 Price: 48,80 € / 97,60 SFR |
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Kritik konzisDer Begriff copy&paste ist im Internet geläufig, nicht erst seit der Affäre Guttenberg. Aktuell wurde er jetzt durch die acta-Diskussion: Netzfreiheit gegen Urheberrecht. Das Symposium mit studentischen Diskussionsbeiträgen zum Thema aus dem Jahr 2009 kann also eher im Grundsätzlichen nützlich sein: zu Werk- und Eigentumsbegriff und fokussiert auf Pop-Geschäftsmodelle im Musikbusiness und in Eigeninitiativen von Künstlern. Doch eine besondere Nuance bringen die historischen Beiträge über copy&paste im weitesten Sinn: über Opernparodien im 18./19. Jahrhundert etwa oder Beethovens späte Werke mit Rückgriffen auf Bachs Goldbergvariationen; über Wiener Einflüsse auf die serbische Musik und Selbstzitate aus ihrem March of the Women der Frauenrechtlerin Ethel Smyth (beide englisch); zu Satie, Nancarrow und Tan Duns Marco Polo. Oder Ying Liu über die Beziehungen zwischen chinesischer und westlicher Musik anhand des populären Liedes Jasmine Flower. Der Beitrag über Urban Musicology, Musik als Performance im öffentlichen Raum, diskutiert das Thema theoretisch und praktisch (klassisches Konzert, Hardcore-Punk und Karaoke), doch fehlt das weite Feld der allgegenwärtigen Muzak-Berieselung. Auch werden die Autor/innen nicht vorgestellt. Auch bei Komponisten und Komponistinnen in Vergangenheit und Gegenwart ist das handwerkliche copy&paste-Prinzip gang und gäbe. So bei dem Portugiesen Emmanuel Nunes dem Ricordi zum 70. Geburtstag eins seiner gediegenen Hommage-Hefte gewidmet hat. Die beiliegende exzellente CD enthält unter drei Titeln zwei, die sich auf Nunes‘ Werke fürs Musiktheater, Das Märchen und La Douce, beziehen. Die Klangsprache ergänzt die grundlegenden Beiträge und Huldigungen (englisch, deutsch, französisch) zu Person und Werk mit aufschlussreichen Notenbeispielen und Fotos; dazu Werkverzeichnis, Biblio-, Disko- und Filmografie. Das Collegium Novum Zürich freut sich in seiner Gratulation auf eine Nunes-Uraufführung in Witten (Akustische Maske für Ensemble und Live-Elektronik, Texte von Elias Canetti, 29.4.2012). Ein weiteres Komponistenbuch grenzt zwar die Arbeit des Schweizers Beat Furrer auf einen bestimmten Ort und Zeitraum ein: das Studienjahr 2007/08 an Musikhochschule und Universität Basel. Doch gleich zu Beginn sind der Text von José Angel Valente, Skizzen und die Partiturreinschrift von Logófagos für Sopran und Kontrabass (2006) abgedruckt. Und auch mehrere (ältere) Gespräche und Texte Furrers (darunter ein Rezept für Kürbiscremesuppe) gehen auf frühere Werke wie die Oper Invocation (2004) oder das »Hörtheater« Fama (2005) zurück. Zum »Fama-Prinzip« äußert sich Herausgeber Kunkel mit einer Hypothese: »Was in vielen Musiken Furrers tatsächlich klingt, beruht auf einer bestimmten Auswahl aus Klangereignissen, die in einem frühen Stadium der kompositorischen Arbeit festgelegt und nicht alle zum Klingen gebracht werden beziehungsweise gebracht werden können.« Dabei sieht er »Merkmale der Musik Furrers« unter anderem schon im 1. Streichquartett (1984), dessen erster Satz komplett wiedergegeben ist, dann in Nuun (1996) oder Phasma (2002), mit einem Exkurs zu Furrers Lehrer Haubenstock-Ramati und zwei von dessen grafischen Notationen. Neben weiter führenden Aufsätzen von Ulrich Mosch, Daniel Ender und Lothar Knessl ist Simon Oberts Untersuchung zu »Resonanzen von Franz Schubert und Morton Feldmann in der Musik Beat Furrers« aufschlussreich. Wenig kontrovers, teils resignierend verlief ein Podium »Braucht Neue Musik Vermittlung?«. Größeren Raum nimmt einer der spannendsten Komplexe dieses Buches ein: das Musiktheater Wüstenbuch (2010 in Basel uraufgeführt). Furrers den Tod umkreisendes, ganz abgedrucktes Textbuch (vor allem Händl Klaus, Ingeborg Bachmann, Lukrez) enthält auch den unglaublich modernen, nahezu 4000 Jahre alten Berliner Papyrus 3024, übertragen und kommentiert von dem bekannten Ägyptologen Jan Assmann (»Der Tod steht heute vor mir...«). Bestechend ist eine Reihe von Farbfotos zur Basler Marthaler-Inszenierung. Am Beispiel eines bedeutsamen Werkes wird auch die Musik von Sofia Gubaidulina in Ortmeiers Würzburger Dissertation analysiert: der Seven Words (1982) Jesu am Kreuz. Die Streichquartette Nr. 2 und 3 (1987), Der Seiltänzer für Violine und Klavier (1993/95) werden gründlich nach Notentext, Form und (kritisch) nach Verwendung von Zahlenreihen (etwa Fibonacci) untersucht. In die Nähe zum geistlich-biblischen Sujet der »Sieben Worte« rücken In Croce für Violoncello und Orgel und Hell und Dunkel für Orgel (beide 1976), mit denen Ortmeier ähnlich verfährt. Stoffwahl und persönliche Äußerungen der Komponistin lassen keinen Zweifel an ihrem russisch-orthodoxen Glauben. Wie sie den Text aber in Struktur und minutiöser Motivarbeit, ebenso im Vergleich zu manch anderen Werken (Johannes-Passion 2000, Johannes-Ostern 2001) Musik werden lässt, zeigt den hohen Rang auch ihres religiös bezogenen Komponierens. Die Verwendung des Kreuzsymbols und die umfangreich dargelegte zentrale Bedeutung eines Schütz-Zitats (»Mich dürstet«) arbeitet Ortmeier als wichtigste Momente heraus. Im Anhang sind Korrekturen und Ergänzungen der Autographe akribisch aufgelistet. Nicht mehr so neu, aber als Standardwerk auch im Kontext von Gubaidulinas Schaffen aufs Neue empfehlenswert ist Clytus Gottwalds Hörgeschichte. Als langjähriger Leiter der legendären Schola cantorum des damals Süddeutschen Rundfunks ist er kompetent wie keiner. Die bescheiden aufgemachte Broschur hat es in sich: faktenreicher Rückblick und engagierte Streitschrift zugleich, autobiografisches Bekenntnis, hellsichtige Gesellschaftsanalyse und Medienkritik. Brandaktuell: Rundfunkorchester, die um ihre Existenz bangen. Die Beispiel-CD enthält Werke von Richard Strauss, Schönberg, Messiaen, Krenek bis Nono und Ferneyhough. Unentbehrliche Meilensteine: Ligetis Lux aeterna (1966) und Kagels Hallelujah (1969). Herbert Glossner |
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Source: Positionen, Heft 91, Seite 55 | |
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