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978-3-8440-0583-7
Peter Weißhaupt
Zahn–Medizin–Ethik
Ethische Implikationen der Zahnarzt-Patienten-Begegnung im Spannungsfeld zwischen klinischer und Sozialmedizin
Aachener Dissertationen zur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Review
Dr. Joachim Stoffel, ZA/HP-Psychotherapie, Psychosomatische Grundversorgung, Konsiliardienst, Balintgruppen für Zahnärzte, 22.05.2012

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„Ist Ethik für den praktizierenden Zahnarzt eine entbehrliche Disziplin?" - mit dieser Frage scheint der Autor Peter Weißhaupt die Frage vieler Kollegen aufzugreifen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie sich mit jenen 100 Seiten befassen sollen, die D. Groß und G. Schäfer in der Reihe: „Aachener Dissertationen zur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin", einer Schriftenreihe des gleichnamigen Instituts der RWTH Aachen, herausgegeben und vom Shaker-Verlag Aachen sehr griffig gedruckt in den Handel gelangt ist.

Meine Antwort vorweg:
Nein! - Ethik ist für den Zahnarzt keinesfalls entbehrlich, vielmehr schon für den Zahnmedizin- Studenten und am besten gleich im1. Semester als eine Art „materiefreie Propädeutik" neben Gips und Wachs jenes fundamentale geistige Material aus dem Denken und Handeln „geschnitzt" sein sollte, wenn man ärztlich tätig werden will.
Und was P. Weißhaupt zunächst in seiner Masterarbeit verfasst und jetzt als Wissenswertes zu einem vergleichsweise bescheidenen Preis von 26,80€ (Angabe des Verlags im Internet) dazu erwerbbar macht, ist, wie er schon im ersten Teil nachweist, nicht nur überfällig sondern von einem„Kassenzahnarzt" und -fast20Jahre nach seiner Promotion - „Master of science: Implantologie" mutig „aus dem Fenster gelehnt".
Und dies zeigt sich von Anfang an:
Schon in der Einleitung verbirgt er nicht, dass es ein Konfliktpotenzial gibt, aus den manchmal so unterschiedlichen Wertvorstellungen, Wünschen und Zielen, mit denen sich der „Hilfegebende Fachmann" und der „Hilfe suchende Patient" im„Regelwerk" und „strukturellen Bedingungen des Gesundheitswesens" ringend um die gerechte Verteilung von Gesundheitsleistungen einerseits und Honorargerechtigkeit andererseits begegnen. Dieser „rote Faden" scheint sich zunächst dort etwas zu verlieren, wo Weißhaupt – wohl auch Pflichten einer Masterarbeit folgend – auf methodische Fragen, Historie, Begriffserklärungen der Ethik und deren Wertkonzepte eingeht. Sofort aber wird dem nicht entsprechend vor-gebildeten Leser der Sinn, ja die Notwendigkeit jenseits purer Wissenschaftlichkeit dazu klar, wenn Weißhaupt die Prinzipien ärztlicher Ethik: „Wohltun, Nicht-Schaden, Respekt vor der Patientenautonomie und Gerechtigkeit" an konkreten Beispielen verdeutlicht:
So löst sich das Dilemma scheinbar konkurrieren der Ansprüche bei der Behandlung von Angstpatienten nach Ansicht des Autors eben weder durch erzwungene Behandlung noch durch deren Unterlassung („Patientenautonomie"), sondern durch gemeinsames Überwinden der Angst, und Ähnliches lässt er für die Patienten mit somatoformen Störungen gelten, bei welchen der Zahnarzt einem drohenden zusätzlichen Schaden für den Patienten nur entgehen kann, wenn er zusätzliche psychosomatische Kompetenzen erwirbt, diese aber auch in einem rechtlich und wirtschaftlich soliden Rahmen anwenden oder zumindest zwingend empfehlen kann, was für Weißhaupt eben keine Frage des „Respekts vor der Autonomie" darstellt.
Fast noch schmäler zeichnet er dann den Grat, auf welchem sich die ästhetische Zahnheilkunde bewegt (Wunschbehandlungen in „Selbstbestimmung" versus „Nicht Schaden), aber auch jener implantologische Anspruch, der nahezu jeden nicht absolut gesunden Zahn am liebsten mit einem Implantat ersetzen will – je fraglicher die medizinische Indikation, desto unabdingbarer die ärztliche Aufklärungspflicht - gerade von seinen Implantologen-Kollegen wird er hier nicht nur Anerkennung ernten.
Besonders aber dort wird der Autor auf Berührungsängste, Ablehnung oder zumindest verbreitetes Unverständnis stoßen, wo er angesichts der besonderen beruflichen Belastungen und Herausforderungen gerade in schwierigen Arzt-Patienten-Beziehungen und Mitarbeiterkonstellationen die eigene Psychohygiene des Zahnarztes z.B. in der Form von Teilnahme an Balintgruppen nicht nur als Option, sondern geradezu als eine ethische Verpflichtung beschreibt, weil jede Beeinträchtigung der Gesundheit und des Wohlbefindens des Zahnarztes zwangsläufig auch einen Schaden für andere nach sich zieht (Wohltun- und Nicht-schaden-Prinzip).
Haben sich nun aber bis dahin die ethischen Herausforderungen hauptsächlich an die zahnärztlichen Kollegen gerichtet und ist der sublime Tadel an jenen Einrichtungen, die für entsprechende Mängel in Aus- und Weiterbildung, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verantwortlich sind, nur dezent zu erkennen, so wird der Autor gegen Ende seines Buches unmissverständlich deutlich, wenn er abschließend gleichsam als Höhepunkt die „Zahnarzt-Patienten-Begegnung im schier unlösbaren Spannungsfeld zwischen klinischer- und Sozialmedizin"- ganz einfach unser Gesundheitswesen nach SGBV also - fokussiert.
Dabei mag man darüber differenzierter Meinung sein, ob, wie er zuletzt im Ausblick schreibt, einerseits auch selbst-induzierte Risiken als „Daseinsrisiko an sich" der Eigenverantwortung des Einzelnen entzogen bleiben sollten, andererseits aber die etwas unkritisch wirkende Übernahme des Axioms der Beitragsstabilität gerechtfertigt ist, die letztlich die Unterscheidung erzwingt zwischen einer an rein fachlich-ethischen Kriterien ausgerichteter klinischer Medizin und einer „Sozialmedizin", die sich an „Verteilungsgerechtigkeit" orientieren muss.
In sich schlüssig aber bleibt seine Aussage, dass dann einhergehend mit einer Ressourcenknappheit zahnärztliche Einrichtungen zur reiner „Verwaltung des Mangels" benutzt werden, dessen Schäden auf den Patienten und die Verantwortung auf den Zahnarzt abgewälzt werden: „Therapiefreiheit" wird so zu Worthülse, Fortschritte werden ausgebremst, Honorare beschränkt, ja nachträglich gekürzt, nicht ohne die Verantwortung und Haftung für die wachsende Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit verleumderisch dem Zahnarzt zuzuschreiben ... all dies sieht der Autor heute als eine der wesentlichsten Belastungsfaktoren in der (Zahn-)Arzt-Patienten-Begegnung, in der das für jede Beziehung, ja jede Heilung unabdingbare Vertrauen systematisch ausgehöhlt wird.

Wer dies angesichts der eigenen Angreifbarkeit als „Kassenzahnarzt" dennoch so offen beschreibt, beweist damit nicht nur seine inhaltliche sondern auch persönliche Kompetenz und Legitimation von Ethik zu sprechen und einzufordern, was in unserer Gesellschaft selbst unter Akademikern zu oft einer opportunistischen Beliebigkeit und Werte- Indifferenz im Bemühen um den Eigennutz zum Opfer fällt.
Zurecht fordert Weißhaupt also eine konsequente Etablierung der Ethik in der Zahnmedizin – auch was Fragen der berufliche Außenwirkung oder Verhalten im Binnenverhältnis anbelangt bis hinein in die Rechts- und Vertragsentwicklung, Gutachterwesen und Forschung.

Diesem seinem Anliegen Substanz zu unterlegen und handlungsleitende Hilfestellungen zu skizzieren, wird er „aus der Praxis für die Praxis" ohne das gewichtige und linientreue Kreisen um den Selbstzweck so mancher (Hoch-) Schul- Lehrbücher in großer Dichte gut lesbar mehr als gerecht.

Dr. Joachim Stoffel
ZA/HP-Psychotherapie
Psychosomatische Grundversorgung
Konsiliardienst
Balintgruppen für Zahnärzte

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