Thomas Kullmann (ed.) Violence in English Children's and Young Adults' Fiction ISBN: 978-3-8322-9689-6 Price: 49,80 € / 99,60 SFR |
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Willkürliche Darstellung von Gewalt, wie man sie etwa in Lemony Snickets A Series of Unfortunate Events findet, wird, wie Frederike Rathing schreibt, so stark übertrieben, dass sie kaum wahrscheinlich ist; Grausamkeit, die so weit geht, dass Väter ihre Kinder ermorden, wird im Märchen durch Schönheit und Kunst geschwächt, die Gewalt dekonstruiert, so Davood Khazaie in seiner komparatistisch angelegten Untersuchung eines Märchenmotivs, das sich in Persien, England und Deutschland gleichermaßen findet. Ein erstaunlich hoher Anteil von Texten befasst sich mit Gewaltdarstellungen in phantastischen Texten. Anne Klaus untersucht Tolkien und Pullman näher, Sabine Burkhardt befasst sich besonders mit Harry Potter und Darren Shan, Masoumeh Javadifar schreibt über Gewalt und Toleranz und Dominik Becher über die Riesen im englischen Märchen. Dass die Darstellung von Gewalt in phantastischen Texten nicht gleichbedeutend mit Eskapismus ist, belegt Stefanie Krüger in ihrem Beitrag über “Violence in Archaic Worlds”. Sie interpretiert die Romane von George MacDonald, J. R. R. Tolkien, C. S. Lewis, Ursula K. Le Guin und Peter Dickinson als kritische Abbildungen negativer Verhaltensmuster der realen Welt. Eine etwas andere Herangehensweise haben Ellen Grünkemeier in ihrem Text über Gewalt und Versöhnung in südafrikanischen Jugendbüchern und Karin Kokorski in ihrem Beitrag über symbolische Gewalt. Beide zeigen, wie Gewalt erlebt wird und wie auch nicht körperlich ausgeübte Gewalt die Opfer zerstören bzw. zu einem vorzeitigen Reifeprozess zwingen kann, der ihnen ihre Kindheit nimmt. So interessant und sorgsam bearbeitet ich die einzelnen Aufsätze finde, so überrascht bin ich doch über die Zusammensetzung. Alles in allem scheinen mir die gewählten Themen doch sehr weit weg – lange her, wie der Osteraufstand von 1916 oder der Zweite Weltkrieg, von großer räumlicher Distanz, wie die Probleme in Südafrika, oder gar fern von unserer extrafiktionalen Realität, wie die zahlenmäßig deutlich überlegenen Beiträge zu Märchen und Fantasy Fiction, selbst wenn die dort thematisierte Gewalt Parallelen zur Lebenswirklichkeit der Leser aufweisen mag. Was in meinen Augen fehlt, sind viel nähere Themen: Mobbing in der Schule, Sadismus und brutale Quälereien unter Jugendlichen, häusliche Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung als Form von psychischer Gewalt. All diese Themen gibt es in der englischsprachigen Kinder- und Jugendliteratur, mitunter ist die Darstellung von Gewalt so drastisch, dass man sich als erwachsener Leser fragt, ob sie für Jugendliche wirklich zumutbar ist (wie z. B. in Blake Nelsons Paranoid Park). Es ist natürlich immer eine heikle Sache, ein Buch für das zu kritisieren, was es nicht ist oder beinhaltet – doch in diesem speziellen Fall wurde dem Band vom Herausgeber selbst eine Fragestellung übergeordnet, die sich meiner Meinung nach anhand der behandelten Texte nicht wirklich beantworten lässt: Was bewirkt fiktionale Gewalt beim kindlichen und jugendlichen Leser; ist er in Gefahr, traumatisiert zu werden? Wird er zu einem kritischen Umgang mit Gewalt ermutigt oder regt die dargestellte Gewalt zu Nachahmung an? Ich denke, dass bei allen in diesem Band vorgestellten und analysierten Texten eine zu große Distanz zur Lebenswirklichkeit der Leser besteht, als dass man von Traumatisierung oder möglicher Nachahmung sprechen könnte. Vor diesem Hintergrund wäre eine Fortsetzung, wie Thomas Kullmann sie selbst in seinem Vorwort anregt, wünschenswert. Entweder von der Universität Osnabrück selbst oder, wie von Kullmann vorgeschlagen, von anderen Forschern. Violence in English Children’s and Young Adult’s Fiction ist auf jeden Fall eine gute Grundlage dafür. |
Gewalt begegnet uns tagtäglich, wenn nicht unmittelbar, dann zumindest in den Medien. Da unsere Welt nicht gewaltfrei ist, spiegeln sich verschiedene Ausformungen von Gewalt zwangsweise auch in der Kinder- und Jugendliteratur. Der Fachbereich Englisch der Universität Osnabrück hat sich im September 2009 im Rahmen einer Konferenz mit diesen Büchern auseinandergesetzt und dabei die Darstellung von und den Umgang mit Gewalt in englischen Kinder- und Jugendbüchern näher untersucht. Thomas Kullmann versammelt in Violence in English Children’s and Young Adult’s Fiction 12 Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Gewalt beschäftigen. Untersucht wurden dabei sowohl Märchen und Fantasy Fiction als auch realistische Texte, die sich etwa mit dem Irlandkonflikt, dem Zweiten Weltkrieg und AIDS in Südafrika auseinandersetzen. Auch die viktorianische und edwardianische Abenteuergeschichte ist vertreten.
Jeder der Beiträge gibt einen guten Einblick in sein Thema. Übereinstimmend kommen die Verfasser zu dem Ergebnis, dass Gewalt, selbst wenn sie zunächst scheinbar idealisiert wird (etwa in Eva-Maria Muhles Beitrag über den Osteraufstand 1916, der die Bereitschaft junger Menschen zeigt, für ihr Land bis zum Äußersten zu gehen), nie bis zum Schluss als akzeptierbar oder positiv dargestellt wird. Die jugendlichen Protagonisten zerbrechen letztendlich an der Gewalterfahrung, wie besonders Peter Osterried in seiner Analyse von Myron Levoys Roman Alan and Naomi darlegt. Werden die kindlichen Protagonisten gewalttätig, dann aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit (wie in Thomas Kullmanns Beitrag über die Abenteuergeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) oder aus Selbstverteidigung.|
Source: Inklings-Jahrbuchs (2011) erschienen im Peter Lang Verlag, Band 29, Seite 362 | |
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